Ihr Roman wird doch wohl nicht etwa schon fertig werden? Verzögern Sie unbedingt weiterhin die Überarbeitung, denn sonst müssen Sie sich mit dem Gedanken an viele, viele Absagen und überhaupt unerfreuliche Kommunikation mit der Außenwelt befassen. Wer will das schon!
Nachdem wir im ersten Teil gelernt haben, wie man sich durch die Beherzigung einiger einfacher Regeln von der Masse der guten Schreiber absetzt, kommen wir im zweiten Teil der Kleinen Schreibschule im Wortezimmer zu einer Fähigkeit für AutorInnen, die fast so wichtig ist wie das Schreiben selbst: das Prokrastinieren.
Ich bieten Ihnen hier ein kleines, aber überaus effektives Seminar in drei Modulen. Die Module können beliebig oft wiederholt und beliebiger Reihenfolge ausgeführt werden.
1. Origami
Origami-Kraniche bringen Glück, und wer tausend davon faltet, dem wird ein Wunsch erfüllt. „Ein bisschen Glück würde für den Anfang ja reichen, und ich wollte immer schon mal wissen, wie so ein Kranich gefaltet wird. Kann ja so schwer nicht sein.“ (ha ha) Wenn Sie auch so denken, sind Sie hier richtig. Um den prokrastinatorischen Effekt zu verstärken, läuft das Ganze unter verschärften Bedingungen: Keine Videos; erlaubt sind nur textbasierte Anleitungen.
Auch ohne Videos gibt es jede Menge Seiten im Internet, auf denen die Faltung mehr oder weniger verständlich und eindeutig erklärt wird. Viel Spaß damit.
Eine Wiederholung ist frühestens nach einem Monat angeraten, denn dann haben Sie mit Sicherheit wieder vergessen, wie es geht, und das Modul ist noch mal für mindestens drei Stunden Prokrastination zu gebrauchen.
Sollten Sie zu den Genies gehören, die nach einem Monat wider Erwarten noch nicht vergessen haben, wie der Kranich gefaltet wird: Es gibt noch viel mehr und viel kompliziertere Origami-Figuren. Aber denken Sie daran: keine Videos.
2. F-Droid
Inzwischen haben wir ja alle gelernt, das Google die Bösen sind, Stichwort Datenkrake und so. Und immer wieder erfreuen uns auch die Nachrichten darüber, dass viele Apps keine Geschenke von Entwicklern an User sind, sondern Datensammel- und Spionagevorrichtungen. Blöd nur, dass man heutzutage ohne Smartphone nicht mehr weit kommt, und dass Android das am weitesten verbreitete Betriebssystem ist.
Nun kann man eine Entdeckung machen: Es gibt eine Plattform namens F-Droid, deren Ziel es ist, nur Apps anzubieten, die einen bestimmten Standard erfüllen (FOSS , das steht für Free and Open Source Software). Hier findet man einiges an Alternativen zu den „normalen“ Apps, die genauso gut funktionieren, einen dabei aber nicht … okay, vielleicht auch ausspionieren, aber dafür weniger und immerhin wird einem das vorher mitgeteilt. Hier können Sie einige frohe Stunden damit zubringen, alternative Apps herunterzuladen, auszuprobieren und – nicht zu vergessen – Ihren Startbildschirm neu zu sortieren, wenn Android mal wieder alles verschoben hat, nur weil ein Icon verschwunden ist.
Sie kennen F-Droid schon längst? Dann schauen Sie doch mal ganz unverbindlich im Google Play Store vorbei. Sie können sich gar nicht vorstellen, was es dort alles gibt. Ist das Angebot bei F-Droid noch recht überschaubar, so gibt es im Play Store Sachen, von denen F-Droid-User nur träumen können.
Viele Stunden kann man so sinnvoll verschwenden und den unangenehmen Moment der Fertigstellung des eigenen WIP (sollten Sie nicht so Social-Media-affin sein – warum eigentlich nicht? Denken Sie an die vielen Stunden, die man verbrauchen kann – und ihnen diese Abkürzung nicht geläufig sein, haben Sie hier eine kleine Zwischenprokrastination beim Auflösen) weiter hinauszögern.
3. Einfach mal ein neues Betriebssystem für den PC ausprobieren
Dass der PC auf Dauer immer langsamer wird, weil er zunehmend von Datenmüll gebremst wird, ist inzwischen auch kein Geheimnis mehr. Deshalb: Einfach mal ein neues Betriebssystem aufsetzen – warum nicht Linux?
Anfänger können sich mit fertigen Systemen wie Ubuntu oder Manjaro beschäftigen. Selbst diese garantieren viele Stunden Spaß und Beschäftigung abseits des Schreibens (oder Überarbeitens). Wenn man sich besonders schlau anstellt, dauert es sogar mehrere Tage, bis das System läuft – oder Sie entnervt zu Windows zurückkehren und alles neu installieren.
Fortgeschrittene versuchen es mit Arch Linux. Das ist das System, bei dem man jedes einzelne Teil (sie nennen es Paket) einzeln installieren und konfigurieren muss. Diesen Kursabschnitt kann man bis in die Unendlichkeit ausdehnen.
Sollte am Schluss alles laufen, so gibt es immer etwas zu basteln und zu optimieren. Sie brauchen nicht zu befürchten, dass Ihnen die Ablenkungen ausgehen.
Sollte Ihnen selbst das nicht genügen, so wechseln sie doch zwischendurch einfach mal die Distribution oder den Flavour (schon wieder dieses Linuxvokabular). Von Mint zu Kubuntu oder von Cinnamon zu KDE. Dass Sie selbst herausfinden, was gemeint ist, ist Bestandteil des Seminars und kann gut und gern drei bis sechs zusätzliche Stunden herausschlagen, bevor Sie überhaupt richtig angefangen haben.
Alle Module sind von mir höchstpersönlich in der Praxis getestet. Ausgiebig.
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